Küsteramt wurde Joe Schulte in die Wiege gelegt - Seit fast 70 Jahren kümmert er sich um die St. Anna Kapelle in Waltringhausen


Fast schon schüchtern versteckt sich die St. Anna-Kapelle hinter den Stallungen eines verwaisten Bauernhofs in Waltringhausen. Nur ein Schild an der Straße leitet die Besucherinnen und Besucher zu diesem kirchlichen Kleinod. Jeden Sonntagmorgen öffnet Küster Joe Schulte die Kapelle pünktlich um acht Uhr und schließt sie um 18 Uhr wieder ab – und das seit fast siebzig Jahren.
 

Tiefste Überzeugung

Das Küsteramt ist dem 87-Jährigen quasi in die Wiege gelegt worden. „Seit 1890 hat unsere Familie dieses Ehrenamt inne. Warum sollte ausgerechnet ich etwas daran ändern?“ Er war gerade mal 19 Jahre alt, als er das Amt 1953 von seinem erkrankten Onkel Richard Minter übernahm. Fortan kümmerte er sich um die Vorbereitungen von Messfeiern und die Gestaltung von Mai-, Rosenkranz-, Kreuzweg- oder Totenandachten. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat Joe Schulte, der eigentlich Josef heißt, viele Geistliche kommen und gehen gesehen. Er ist seiner Aufgabe immer treu geblieben. Bis zum heutigen Tag. Und wahrscheinlich bleibt er das noch viele weitere Jahre. Denn einen Nachfolger gibt es nicht. Sohn Christian möchte diese Aufgabe nicht übernehmen. Dafür engagiert sich der Filius seit 2004 als Vorsitzender des Kapellenvereins St. Anna Waltringhausen.
 

Heiligenverehrung

Das Andachtsbild der Mutter Gottes ist eines der schönsten romanischen Mariendarstellungen Westfalens und für Kunstsachverständige von großer Bedeutung“, schwärmt Joe Schulte. „Weil das aus dem 13. Jahrhundert stammende Original sehr wertvoll ist, steht bei uns in der Kapelle eine Kopie.“ Ob die Glocke aus dem Jahr 1502, die zuverlässig um sieben, zwölf und 18 Uhr Gottes Lob verkündet, ebenfalls aus dem Kloster stammt, könne er jedoch nicht mit Sicherheit bestätigen. Aber vieles weise darauf hin.
 

„Mein Küsteramt erfülle ich seit fast sieben Jahrzehnten aus tiefster Überzeugung“

Joe Schulte, Küster der St. Anna Kapelle in Waltringhausen
 

Wallfahrtsort Waltringhausen

Mit stoischer Ruhe erklärt Joe Schulte Besucherinnen und Besuchern aus nah und fern die Geschichte der St. Anna Kapelle, die er als wertvollsten Schatz im gesamten Kirchspiel mit den Ortschaften Mellrich, Altenmellrich, Klieve, Robringhausen, Uelde und Waltringhausen bezeichnet. „Viele Gäste nutzen die Kapelle auch als Wallfahrtsort, um ihre Anliegen der Gottesmutter vorzutragen. Nach telefonischer Voranmeldung schließe ich die Kapelle auch gerne individuell auf.“
 

Bauherrin Luzia

Die Gründung des Klosters St. Annenborn geht auf die Initiative der Witwe des Ritters Rutger von Mellrich aus. Im Jahr 1322 erhielt Luzia vom Stift Meschede die Erlaubnis, auf ihrem Hofgelände in Waltringhausen ein Kloster zu errichten. „Es ist nicht überliefert, warum die Klostergemeinschaft der Augustinerinnen bereits 1408 beendet wurde“, sagt der agile Rentner. „Das gesamte Anwesen ging später in den Besitz des Soester St.-Walburgis-Stift über. Möglicherweise befindet sich die Kapelle St. Anna genau an der Stelle, wo früher die Klosterkirche stand.“
 

„Feierabend-Bauer“

Bis in die 1960er Jahre bewirtschaftete Joe Schulte gemeinsam mit seiner Frau Anni, mit der er seit 1964 glücklich verheiratet ist und vier gemeinsame Kinder hat, den Schultenhof. „Schon damals zeichnete sich ab, dass ich als Landwirt wegen der Betriebsgröße wirtschaftlich nicht überleben kann.“ Und so entschloss er sich zu einer Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Bis 1997 war er in Diensten der Gemeinde Anröchte und in der dortigen Finanzverwaltung tätig. Als Nebenerwerbslandwirt kümmerte er sich nach Dienstende und am Wochenende um den Hof. Diese Aufgabe hat er längst an seinen Sohn übergeben. Auch Christian Schulte bewirtschaftet die 20 Hektar Ackerfläche des Schultenhofs nur nebenbei.


Christus im Bauschutt

Sehr stolz ist man in Waltringhausen auf ein ganz besonderes Bildnis, das über 60 Jahre als verschollen galt. „Ende der 1950er Jahre wurden in der Kapelle umfangreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt“, erinnert sich der Küster. „Im Zuge dieser Baumaßnahmen fiel den Handwerkern ein Tafelbild am Hauptaltar auf, das sich in einem maroden Zustand befand. Wurmfraß und Nässe hatten dem Bild sehr zugesetzt.“ Es wurde entsorgt und landete im Bauschuttcontainer.

Dort fand ein Mitarbeiter des Paderborner Restaurierungsbetriebs Ochsenfarth einen ebenfalls entsorgten Altarbehang und Fragmente des Tafelbildes. Er sah Teile der Kreuzabnahme und den dargestellten Christus am Kreuz. Außerdem stieß er bei genauer Betrachtung auf einige Gebäude, die wohl zum Kloster gehörten. „Auch das ist nicht endgültig bewiesen. Doch viele Indizien deuten darauf hin, dass im 19. Jahrhundert noch Reste der Klostergebäude auf dem Schultenhof zu sehen waren.“
 

Rückkehr des Originals

Seither hing das Bildnis in der Wohnung des Restaurators. „Ich habe es dort mit eigenen Augen gesehen“, versichert Joe Schulte. Vor vier Jahren erhielt er dann einen Anruf. „Eine Geschäftsfrau aus Lippstadt war mit einer Wohnungsauflösung beschäftigt, als ihr das Bild auffiel. Da entscheid sie sich spontan, es an die ursprünglichen Besitzer zurückzugeben. Auf der Rückseite gab es einen Hinweis auf die Herkunft.“ Vor der Rückkehr in die Waltringhauser Kapelle wurde das Bildnis als Original identifiziert und fachmännisch restauriert. „Jetzt strahlt dieses Kunstwerk wieder im alten Glanz“, freut sich nicht nur der Küster über dessen Heimkehr nach sechzig Jahren.
 

Mutter-Anna-Fest im Juli

Jetzt freut sich Joe Schulte auf zwei wichtige Termine im Juli. Denn dann kann er nicht nur seinen 88. Geburtstag feiern, sondern auch das beliebte St.-Anna-Fest. Am Samstag, 30. Juli, wird nach zweijähriger Zwangspause unter dem großen Sonnensegel am Brunnen in Waltringhausen endlich wieder gefeiert. Doch bevor es mit der Sause mit Essen, Trinken, Tanz und jeder Menge Musik losgeht, steht um 18.30 Uhr der traditionelle Gottesdienst auf dem Programm. „Ein Fest für die ganze Familie.“

 

Und wie sieht die Zukunft von Joe Schulte aus? „Ich möchte gerne Küster bleiben, solange es meine Gesundheit ermöglicht. Ich bekleide dieses Amt aus Überzeugung und Demut. Und es bereitet mir auch im siebten Jahrzehnt noch sehr viel Spaß und Freude.“

 

Text und Fotos: Holger Bernert