Mit ihrem Buchprojekt möchten Eva-Maria Rellecke und Heinz-Josef Busch die kulturelle Identität ihrer Heimatgemeinde bewahren

Seit gut fünf Jahren arbeiten Eva-Maria Rellecke und Heinz-Josef Busch an ihrem Erstlingswerk „Anröchter Platt“. Immer donnerstags treffen sich die beiden Autoren in Anröchte, um gemeinsam an dem Wörterbuch zu arbeiten. Jetzt wurden sie für ihre Arbeit mit dem Heimatpreis der Gemeinde Anröchte ausgezeichnet. Das Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro soll in das Projekt fließen.

„Anröchter Platt“

In Deutschland sprechen rund zweieinhalb Millionen Menschen platt. Eine Sprache, die gleichzeitig direkt ist und liebevoll klingt. Aus diesem Grund hat die UNESCO das Plattdeutsche zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. In Anröchte gibt es noch einige Handvoll Bürgerinnen und Bürger, die sich auf platt verständigen können. Dazu gehören Eva-Maria Rellecke und Heinz-Josef Busch. Jetzt arbeiten die beiden an zwei Buchprojekten, um das „Anröchter Platt“ für die folgenden Generationen zu erhalten.

In die Wiege gelegt

„Junges müt platduitsk kuian. Hochduitsk is bleos wōat föë Mäëkes.” Worte, die sich bei Heinz-Josef Busch eingebrannt haben. „Da war ich vielleicht vier Jahre alt, als mir ‚Solt-Kraft‘ das mitgeteilt hat“, erinnert sich der 77-Jährige an Josef Kraft. Der Bauer war damals bekannt wie ein bunter Hund. Schließlich versorgte er die Anröchter mit Salz aus den naheliegenden Salinen. „Das war der Nachbar meiner Oma. Als kleiner Junge war ich sehr oft bei ihr. Und immer, wenn es mir langweilig wurde, bin ich rüber zum Bauernhof. Der Bauer hat nur platt mit mir gekuiat. Daher habe ich bis zur Einschulung kein hochdeutsch gesprochen.“

Nach der Schulzeit absolvierte Heinz Josef Busch eine Verwaltungslehre beim damaligen Amt Anröchte. Doch die Arbeit im Rathaus machte ihm auf Dauer keinen Spaß. So wechselte er in die freie Wirtschaft und heuerte bei der damaligen Spar- und Darlehenskasse Anröchte an. Nebenberuflich besuchte er immer samstags die Bankakademie in Münster, die er als Bankfachwirt abschloss. Zuletzt arbeitete er, bis zu seiner Verrentung im Jahr 2008, als Leiter der Kreditabteilung der Volksbank. „In dieser Position konnte ich mein Plattdeutsch wieder anbringen, denn viele meiner damaligen Kunden wollten ausschließlich platt mit mir sprechen. Dann fühlten sie sich wohl und vertrauten mir.“

In die weite Welt

Nach dem Abitur hielt es Eva-Maria Rellecke nicht mehr in ihrer Heimatgemeinde. Zuerst ging es zum Germanistikstudium nach Münster. „Ich wollte eigentlich Lehrerin werden“, erzählt sie. „Doch dann hatte ich andere Pläne.“ Sie zog nach dem 1. Staatsexamen Richtung Ruhrgebiet und studierte an der Bochumer Ruhruniversität Psychologie. Dort arbeitete die Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin einige Jahre als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Medizinische Psychologie. „Später habe ich bei der AOK Bochum die Abteilung ‚Gesundheitsförderung‘ mit aufgebaut.“ Bis zum Renteneintritt vor zehn Jahren war die 75-Jährige als Klinische Psychologin im Bochumer Universitätsklinikum Bergmannsheil tätig und betreute dort querschnittsgelähmte, chirurgische und brandverletzte Patienten und deren Angehörige psychologisch. Außerdem war sie Mitglied im Ethikkommitee der Klinik.

Den Kontakt zu ihrer Heimat Anröchte hat Eva-Maria Rellecke nie aufgegeben und fühlte sich ihr immer heimatlich eng verbunden. „Seitdem ich Rentnerin bin, komme ich regelmäßig nach Anröchte. Ich wollte unbedingt die vertraute Sprache meines Vaters erlernen. In der ‚Plattduitsken Runne‘  habe ich dann Heinz-Josef Busch wiedergetroffen, den ich bereits aus meiner Jugend kannte. Gemeinsam mit dem bekannten Steinmetz- und Bildhauermeister Helmut Kleere haben sie beschlossen, ein Buchprojekt über das Anröchter Platt zu realisieren. „Leider ist Helmut im vergangenen Jahr plötzlich verstorben, sodass wir jetzt als Autorenduo weitermachen. Aber das machen wir ganz im Sinne unseres Freundes“, versichern Eva-Maria Rellecke und Heinz-Josef Busch.

Regelmäßige Treffen

Jeden Donnerstag treffen sich die beiden Autoren in Anröchte, um gemeinsam an ihrem Buchprojekt zu arbeiten. Der Wohnzimmertisch von Heinz-Josef Busch verwandelt sich dann zu einem echten „Wortlabor“, denn die Umsetzung ist richtige Fleißarbeit. Neben dem Lehr- und Lernbuch „Läabauk Arröchtsket Plat“ soll noch das Wörterbuch „Wȫakbauk heogduitsk – platduitsk“ und „Wȫakbauk platduitsk – heogduitsk“ entstehen. Wenn alles nach Plan läuft, soll das Wörterbuch rund um den kommenden Jahreswechsel in einer Auflage von 100 Stück erscheinen.

Beide Bücher sind echte Herausforderungen. Zuallererst musste ein Regelwerk erstellt werden, dass es bis dato noch nicht gab. „Plattdeutsch ist gesprochene Sprache und muss wie eine Fremdsprache gelernt werden. Aber noch ein bisschen komplizierter“, lacht die Germanistin. „So gibt es im Anröchter Platt Laute, die wir im Hochdeutschen gar nicht kennen. Hinzu kommt die eher komplizierte Grammatik mit ihren unregelmäßigen Verben und den – ich nenne es mal sehr individuellen – Schreibweisen.“ Das alles macht die gemeinsame Mission nicht einfacher. „Im Gegenteil“, fügt Heinz-Josef Busch hinzu. „Wir wollen ja alles korrekt umsetzen. Was gibt es Schlimmeres, als Wörter aufzuführen, die es so gar nicht gibt oder falsch geschrieben sind. Daher ist volle Konzentration angesagt.“

Heimatpreis

Mit dem von der Gemeinde verliehenen Heimatpreis werden Menschen ausgezeichnet, die sich im besonderen Maße für die Stärkung des Heimatbewusstseins in Anröchte engagieren. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wird vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert. „Als diesjährige Preisträger leisten Eva-Maria Rellecke und Heinz-Josef Busch einen wertvollen Beitrag zur Stärkung der Verbundenheit zu unserer Gemeinde“, lobt Anröchtes Bürgermeister Alfred Schmidt das langjährige Engagement der beiden leidenschaftlichen Autoren. „Sie zeigen anschaulich, wie sich Menschen in Anröchte aktiv für ihre Heimat engagieren und unsere Gemeinde zu einem lebens- und liebenswerten Ort machen.“ Die Preisverleihung findet am Sonntag, 5. November, 14 Uhr im Anröchter Steinmuseum statt.

„Wir haben ja mit allem gerechnet, aber nicht mit dem Gewinn des diesjährigen Heimatpreises der Gemeinde Anröchte“, so die Preisträger unisono. „Wir haben uns natürlich sehr über diese Auszeichnung gefreut.“ Das Preisgeld fließt komplett in ihr Buchprojekt. Jetzt können die beiden Autoren Grafik und Druck professionell gestalten. Bis es soweit ist, steht aber noch jede Menge Arbeit in ihrem Anröchter „Wortlabor“ an.  

 

Texte und Fotos: Holger Bernert