Kathrin Schnittker begab sich auf einen wilden Ritt durch die Berufswelten und fand schließlich Erfüllung

Ein Leben lang denselben Beruf ausüben? Kathrin Schnittker entschied sich für das Gegenteil. 40 Jobs in 40 Tagen – eine Art berufliches Speed-Dating, nur mit mehr Blasen an den Händen und weniger belanglosem Smalltalk. Vom Kindergarten bis zur Kanzlei, von der Müllabfuhr bis zum Goldschmiedehandwerk – ein einmaliger Selbstversuch, der nicht nur neue Fähigkeiten brachte, sondern auch Muskelkater, überraschende Erkenntnisse und schließlich die große Erleuchtung: Der richtige Platz war ausgerechnet bei den Toten. „Ich wollte herausfinden, was ich wirklich machen will“, erzählt sie. Die größte Überraschung sei gewesen, dass ausgerechnet der Tod sie zum Leben erweckt habe.

Radikaler Schritt

Mit 45, mitten im klassischen Karriereleben, kam der Moment der Selbstzweifel. Die Anröchterin fragte sich, ob sie so weitermachen wollte oder ob es da draußen noch etwas gab, das sie mehr erfüllte. Anstatt sich mit einem Motivationsratgeber auf die Couch zurückzuziehen, entschied sie sich für einen radikalen Schritt: 40 Berufe in 40 Tagen – und am Ende würde sich zeigen, wo ihr Herz wirklich hingehört. „Ich wollte es wissen.“ Nicht nur theoretisch überlegen, sondern praktisch ausprobieren. Jeder Tag ein neuer Job, um herauszufinden, was bleibt. Das Ergebnis war ein wilder Ritt durch völlig unterschiedliche Arbeitswelten. An einem Tag als Hufschmiedin lernte sie, dass Pferdehufe unerwartet hart sein können, während ihre Arme am nächsten Morgen butterweich wurden. In der Rechtsanwaltskanzlei stellte sie fest, dass die juristische Nomenklatur einer Geheimsprache gleicht. Und als sie für einen Tag Müllwerkerin war, wurde ihr klar, dass auf dem Müllwagen ein lockerer Spruch wichtiger ist als saubere Hände.

Gänsehautmomente

Besonders beeindruckte Kathrin Schnittker die Arbeit einer Goldschmiedin in Anröchte, bei der sie half, einen Orden für einen Schützenkönig zu fertigen. Handwerk, das sichtbare Ergebnisse lieferte. Im krassen Gegensatz zu ihrem alten Bürojob, bei dem oft nicht klar war, was sie eigentlich geschaffen hatte. Doch dann kam Tag 37 – der Tag, der alles veränderte. Als sie das Bestattungsinstitut in Bad Sassendorf betrat, wusste sie sofort: „Hier will ich bleiben.“ Die Atmosphäre, die Ruhe, die Bedeutung dieser Arbeit – alles fühlte sich richtig an. Während einer Beerdigung wurde ihr bewusst, wie viel Trost ein guter Bestatter spenden kann. „Das war der Moment, in dem ich es wusste. Das ist mein Platz“, sagt sie rückblickend. Viele Menschen verdrängen das Thema Tod, glaubt Schnittker. Man wolle sich nicht damit auseinandersetzen, bis es unausweichlich sei. Doch wenn der Tod früher ins Bewusstsein rücke, könne der Umgang damit viel leichter werden.

Besondere Momente

Die Reaktionen auf ihre neue Berufung fielen unterschiedlich aus. Manche Menschen seien erst einmal sprachlos gewesen, andere hätten sofort makabre Witze gemacht. „Viele erwarten wohl, dass ich in schwarzem Samt durch die Gegend schwebe und mit dunkler Stimme spreche“, lacht Kathrin Schnittker. „Aber wir lachen viel im Team. Muss auch sein, sonst wird’s düster.“ Besondere Wünsche bei Beerdigungen gehören zum Alltag. Einmal ließ eine Familie Luftballons mit letzten Botschaften steigen, ein anderes Mal erklang Heavy Metal anstelle von Trauermusik. Doch eine Szene sei ihr besonders im Gedächtnis geblieben: Eine Angehörige habe sich während der Beisetzung auf das offene Grab gestürzt und geschrien: „Nimm mich mit!“ Ein Moment, der das gesamte Bestattungsteam vor eine Herausforderung stellte.

Neue Sicht

Durch die Arbeit mit dem Tod hat sich auch ihr Blick auf das Leben verändert. Heute sagt Kathrin Schnittker häufiger Nein, gönnt sich mehr und schiebt Dinge nicht mehr auf die lange Bank. „Man weiß nie, wann es zu spät ist.“ Der Tod solle kein Tabu bleiben. Um dem Thema seinen Schrecken zu nehmen, plant sie Lesungen an ungewöhnlichen Orten wie Friedhöfen, Bestattungsinstituten, vielleicht sogar Krematorien. Für ihre eigene Bestattung hat sie klare Vorstellungen. Eine Körperspende wäre ihr am liebsten, danach eine anonyme Beisetzung, um niemandem eine Last zu sein. Falls das nicht klappt, könnte sie sich auch eine Grabinschrift mit Augenzwinkern vorstellen: „Endlich Ruhe!“

Doch davon ist die Anröchterin noch meilenweit entfernt. „Ich liebe das Leben im Hier und Jetzt“, meint sie. Gemeinsam mit ihren hochbetagten Eltern lebt sie auf „Schnittkers Hof“ in Altengeseke und ist dort fest verwurzelt. Neben ihrer Tätigkeit als Bestatterin gibt sie als Beraterin Menschen Lebenshilfe in schwierigen Situationen und engagiert sich als Musikerin in der Gemeindearbeit. Es ist noch so viel zu tun …

 

 

Text und Fotos: Holger Bernert