Ein Leben zwischen Reck und Rechenschieber – Hubert Eickhoff geht als ewiger Schatzmeister in die Annalen des TuS 06 Anröchte ein.

Wenn Hubert Eickhoff über Zahlen spricht, klingt das nicht trocken. Es klingt nach Verantwortung, nach Ordnung und nach einer seltsamen Form von Leidenschaft, die Außenstehende nur schwer begreifen. Der 85-Jährige sitzt nicht einfach nur auf einem Stuhl, wenn er von „seiner“ Kasse erzählt. Er thront auf einem Erfahrungsschatz, der in der deutschen Vereinslandschaft wohl einzigartig ist. Neulich stand er im Rampenlicht. Dort, wo er sich eigentlich am unwohlsten fühlt. Der „Heimatpreis 2025“ wurde verliehen, und der Applaus wollte nicht enden. Doch wer Hubert Eickhoff verstehen will, darf nicht nur auf die Urkunde schauen. Man muss zurückblicken auf einen Weg, der am Turnreck begann und in den Aktenordnern des TuS 06 Anröchte noch lange nicht endet. Ein langes Leben zwischen Salto und Saldo, Barren und Bilanzen.

Stille Helden

Es ist ein Sonntagvormittag der großen Worte. Anröchtes Bürgermeister Alfred Schmidt spricht von „gesellschaftlichem Zusammenhalt“ und „Vorbildfunktion“. Begriffe, die oft hohl klingen, wenn sie auf den Falschen treffen. Bei Hubert Eickhoff füllen sie den Raum. Er ist das, was man das soziale Gewissen eines Dorfes nennt. Seit 1968 führt er die Kasse des Vereins. Nicht ab und zu, nicht mit Pausen, sondern ununterbrochen. 57 Jahre sind mittlerweile zusammengekommen. Und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht.

Rechnet man das in Lebenszeit um, wie es der Bürgermeister in seiner Laudatio tat, stockt einem der Atem: Rund dreieinhalb volle Jahre seines Lebens hat der 85-Jährige allein mit der Buchhaltung des Vereins verbracht. Ehre, wem Ehre gebührt, heißt es oft. Doch Hubert Eickhoff winkt ab. „Ich hoffe sehr, dass noch einige weitere Jahre dazukommen“, sagt er schmunzelnd. Es ist dieser feine Humor, der den ehemaligen Bilanzbuchhalter auszeichnet. Er macht kein Aufheben um sich, er macht einfach.

Wilde Jahre

Dabei waren die Anfänge alles andere als bürokratisch. Wer den betagten Herrn heute sieht, ahnt kaum, welche körperliche Kraft einst in ihm steckte. In den späten 50er Jahren war Hubert Eickhoff der „Eberhard Gienger von Anröchte“. Ein Turner aus dem Bilderbuch, Mitglied der Westfalenriege. „Ich turnte drei Klassen besser als der Durchschnitt“, erinnert er sich ohne falsche Bescheidenheit.

Es war eine Zeit, in der die Hände nach Magnesia rochen und nicht nach Druckerpapier. Anekdoten aus dieser Ära erzählt der Anröchter mit einem Lausbubenlächeln. Etwa von der Weihnachtsfeier, bei der erst kräftig gefeiert wurde, nur um danach am Reck „Riesenfelgen“ zu drehen. „Loslassen, einmal drehen in der Luft, Bum-Bum, wieder stehen“, beschreibt er die Bewegungsabläufe so präzise, als wäre es gestern gewesen. Die Disziplin, die er damals für den perfekten Salto brauchte, hat er konserviert und in seine zweite Karriere als Kassenwart übertragen.

Kostbare Zeit

Der Übergang vom aktiven Sportler zum Funktionär war fließend, fast zwangsläufig. 1968 fragte der damalige Vorsitzende, ob er nicht die Kasse übernehmen wolle. Und der ehemalige Turner sagte zu. Aus einer Amtszeit wurde ein Lebenswerk. Die Welt um ihn herum veränderte sich radikal. Damals ging der Kassierer noch von Haus zu Haus, sammelte Beiträge bar ein und hielt ein Schwätzchen. Heute ist der TuS 06 ein mittelständisches Unternehmen mit 1.400 Mitgliedern und zehn Abteilungen sowie rund 60 Trainerinnen und Trainern.

Hubert Eickhoff hat den Wandel von der Kladde zur Buchhaltungssoftware gemeistert. Er kämpft heute nicht mehr mit der Schwerkraft am Barren, sondern mit dem deutschen Steuerrecht. „Warum haben Sie einen Rasenmäher gekauft?“, fragte das Finanzamt schon mal bei der Prüfung der Gemeinnützigkeit. Fragen, die Geduld erfordern. Er hat sie. Fast schon stoisch. Achtzig bis hundert Stunden investiert er im Monat. Für 100 Euro Aufwandsentschädigung. Ein Stundenlohn, der jeden Ökonomen weinen ließe, aber das Herz des Schatzmeisters höherschlagen lässt.

Starker Rückhalt

Diese immense Hingabe wäre ohne Ursula nicht möglich gewesen. „Ulla“, wie sie genannt wird, ist seit 1971 an seiner Seite. Nächstes Jahr feiern sie die 55 Jahre. Sie ist keine Frau, die im Schatten steht, sondern eine, die als Leiterin der Frauensportgruppe und beim Kinderturnen ihren eigenen Platz im Vereinsleben gefunden hat. „Daran wachsen auch die eigenen Kinder“, sagt sie über Herausforderungen, sei es im Sport oder im Urlaub an der Nordsee, wenn der Wind von vorne kommt.

Das Paar wirkt eingespielt, wie ein altes Uhrwerk, das nie den Takt verliert. Früher ging es mit dem Wohnwagen nach Norderney oder Sylt, um dem Sohn bei der Heilung seiner Neurodermitis zu helfen. Heute mieten sie sich in Neuharlingersiel ein und fahren Fahrrad hinterm Deich. Es sind die kleinen Fluchten, die Kraft geben für die großen Aufgaben im Verein.

Kluge Spende

Der Höhepunkt der Preisverleihung war nicht die Urkunde, sondern eine Geste, die typisch für Hubert Eickhoff ist. 3.500 Euro Preisgeld bringt der Heimatpreis mit sich. Viel Geld für einen Rentner. Doch er behält keinen Cent. Er stockt den Betrag durch private Mittel und Parteispenden auf 4.250 Euro auf und gibt alles an den Verein zurück.

Das Ziel: neue Spielgeräte für den Rasenplatz, damit die Kinder beschäftigt sind, während die Väter Fußball schauen. Und hier blitzt er wieder auf. „Da ich Finanzexperte bin, habe ich mir selbst eine Spendenquittung ausgestellt“, erzählt er lachend. So kann er seine eigene Großzügigkeit wenigstens von der Steuer absetzen. Ein pragmatischer Altruismus, der in der Gemeinde seinesgleichen sucht.

Offenes Ende

Wie lange geht das noch gut? Hubert Eickhoff hat mittlerweile 85 Kerzen auf seiner Geburtstagstorte. In der Wirtschaft wäre er seit zwei Jahrzehnten im Ruhestand. Im Verein ist er unverzichtbar. Sein Ziel ist klar definiert: „Ich mache noch drei Jahre, dann bin ich 60 Jahre Kassenführer.“ Es klingt weniger wie ein frommer Wunsch, sondern mehr wie ein fester Plan.

Doch die Sorge schwingt mit. Wer soll in diese Fußstapfen treten? „Mein Nachfolger muss ein perfekter Buchhalter sein“, sagt Hubert Eickhoff. Die Latte liegt also hoch. Vielleicht zu hoch für die heutige Generation, die sich ungern bindet. Bis sich jemand findet, macht Hubert Eickhoff weiter. Still, leise und mit der Präzision eines Turners, der weiß, dass man den Griff niemals lockern darf, bevor die Übung wirklich beendet ist.

 

Text und Fotos: 
Holger Bernert